Clare Chambers, Kleine Freuden

Clare Chambers, Kleine Freuden

Die Autorin, die als Lektorin in einem Verlag arbeitete, hatte schon acht Romane veröffentlicht, ehe sich dieser, allein durch Mundpropaganda durchsetzen konnte, und so auch von Julia Eisele entdeckt wurde.

Die Geschichte klingt erst einmal ein bisschen bizarr. Geht es doch um eine Frau namens Gretchen Tilbury  im London der 50er Jahre, die gegenüber einer Zeitung , behauptet, ihre 10 jährige Tochter Margret, sei das Resultat einer unbefleckten Empfängnis. Jean Swinney, eine vom Leben etwas enttäuschte End Dreißigerin, die mit ihrer herrschsüchtigen Mutter unter einfachen Bedingungen zusammenlebt, wird beauftragt, sich dieses seltsamen Falles anzunehmen und bei nächster Gelegenheit darüber einen Artikel zu schreiben. Die mitreißenden Recherchearbeiten der Hauptprotagonistin zu Gretchen Tilburys unglaublicher Behauptung über die unbefleckte Empfängnis ihrer Tochter ziehen einen völlig in den Bann. Vor allen Dingen, als sich Jean mit der Familie anfreundet und seit langer Zeit eine Ahnung von unerwarteter Freude erfährt. Natürlich greift Jean nach der Hoffnung auf ein bisschen Glück, auch wenn sie damit gegen ihre Arbeitsmoral und das eigene Gewissen stößt.

Eine Aufklärung, was hinter der unbefleckten Empfängnis steht, gibt es am Ende auch- aber die ist bis dahin eher nebensächlich.

Eisele Verlag, € 24,00

Alina Bronsky, Barbara stirbt nicht

Alina Bronsky, Barbara stirbt nicht

Walter Schmidt- merkt euch diesen Namen und heiratet ihn niemals! Seit 52 Jahren mit Barbara verheiratet und nicht in der Lage den Staubsauger zu bedienen, einen Kaffee zu kochen oder eine Tütensuppe zu machen. Zudem ist er wenig bis gar nicht empathisch und  Kontakt zu seinen Kindern besteht faktisch nicht. Das fällt ihm alles auf die Füße, als Barbara krank wird und für längere Zeit ausfällt.

Den Kaffee holt er anfangs beim Bäcker, das Essen findet er in der Tiefkühltruhe für mindestens ein Jahr, dann beginnt er nach gewissen Haushaltsdingen zu googlen und landet bei facebook und youtube und deren Kommentarfunktion.

Als Techniker möchte er genaue Anleitungen und es gelingt ihm tatsächlich, sich diese überall zu holen und sich so nach und nach Dinge beizubringen, vom Kaffee kochen, über Bortscht bis hin zum Kuchen backen.

Ein herrischer, mürrischer immer von sich selbst überzeugten Mann. Umso interessanter ist es Herrn Schmidts langsamer Verwandlung zu beobachten, allerdings tut alles dafür, dass wir ihn nicht zu sympathisch finden.

Leicht erzählt,  ohne belanglos zu sein. Bücher dürfen auch einfach mal nur unterhalten!

Kiepenheuer & Witch € 20,00

Elif Shafak, Das Flüstern der Feigenbäume

Ein neues Buch einer meiner Lieblingsautorinnen: für mich sowieso ein „Muss“, umso mehr, als ich dieses Jahr auf Zypern, dem Handlungsort des Romans war. Der Zypernkonflikt, das geteilte Land- wieviel wissen wir eigentlich davon? Ich wenig, nur in Ansätzen, umso mehr ein Grund dieses Buch zu lesen.

1974 befindet sich das idyllische Zypern kurz vor dem Bürgerkrieg. Eine Taverne ist der einzige Ort, an dem sich der Grieche Kostas und die Türkin Defne treffen können. Eine verbotene Liebe, sie Muslima, er Christ, auch schon vor der Teilung ein Problem. Ein prachtvoller Feigenbaum im Innenhof der Taverne ist Zeuge ihrer glücklichen Begegnungen und ihrer stillen Abschiede. Kostas muss der Insel den Rücken kehren.

Der Feigenbaum ist auch da, als der Krieg ausbricht, als die Hauptstadt in Schutt und Asche gelegt wird, als Menschen auf der ganzen Insel spurlos verschwinden.

In der Gegenwart steht der Baum im Garten von Kostas und seiner 16-jährigen Tochter Ada in London. Ada weiß nichts von ihrer Heimat, Kostas hüllt sich in Schweigen, wenn es um seine Vergangenheit geht und die seiner verstorbenen Frau, Defne. Nur die Wurzeln des Baums stellen noch eine Verbindung dar zu dem, was geschehen ist. Doch Ada forscht nach: Was verbirgt sich hinter dem Schweigen ihres Vaters? Warum musste ihre Mutter sterben?

Das mystische Element des Romans: der Feigenbaum, der seine Version der Geschichte beisteuert. Ein Kniff der Autorin, um keine Stellung beziehen zu müssen, um sich auf keine Seite zu schlagen, denn der Feiggenbaum sieht alle Seiten. Aber auch er geht in s  Exil, als Steckling nach England geschmuggelt und dort neu eingepflanzt.

Elif Shafak erzählt anrührend und poetisch in einer blumigen, bildstarken Sprache  von den Traumata,  die durch Schweigen an die nächsten Generationen weitergegeben werden.

Kein & Aber, € 27,00

Schnalke, Louma

Christian Schnalke, Louma

Als Louma viel zu jung stirbt, hinterlässt sie vier Kinder von zwei Vätern. Die beiden Männer sind wie Feuer und Wasser, Tristan und Mo verbindet nur, dass sie mit derselben Frau verheiratet waren. Noch ehe Louma beerdigt ist, eskaliert die Situation, und die vier Kinder müssen mitansehen, wie sich ihre Väter prügeln. Beide meinen zu wissen, was das Beste für Toni, Fabi, Fritte und Nano ist, keiner von beiden würde dem anderen seine Kinder anvertrauen. Da hat Fritte eine Idee: Damit die Geschwister nicht auseinandergerissen werden, ziehen die ungleichen Väter einfach zusammen. Und während sie alle auf ihre Weise um Louma trauern, müssen sie zueinander finden. Kann aus der Zweck-WG eine richtige Familie werden?

 Louma ist bereits gestorben, als der Roman beginnt. Und schon dieser Beginn verursacht eine Gänsehaut: Louma wurde beigesetzt, die Beisetzungsfeier ist vorüber, der Friedhof geschlossen. Da steigen ihre vier Kinder und ihr Ehemann Mo über die Mauer und schlagen neben ihrem Grab ein Zelt auf: um sie in der ersten Nacht im Trauerwald nicht allein zu lassen! Was für ein Einstieg in diese wunderbare Familiengeschichte.
Nichts ist kitschig an diesem Roman, nichts rührselig, und doch hat man beim Lesen ständig einen dicken Kloß im Hals, der dort die ganze Zeit mit einem leisen Lachen um die Überhand ringt.

Herzensbuch!

Kampa Verlag, € 22,00

Charlotte McConaghy, Zugvögel ( S. Fischer Verlag)

Dieses Buch ist auch ein „Lieblingsbuch“ der Unabhängigen Buchhändler 2020 und von mir eine absolute Leseempfehlung.

Die Autorin, Charlotte McConaghy, lebt in Australien und arbeitet als Drehbuchautorin. Die Sorge um die Auswirkungen des Klimawandels, hat sie zu dem Buch inspiriert.

Die Handlung beginnt in einer nahen Zukunft, der Klimawandel ist weit fortgeschritten, viele Tierarten auf dem Land, in der Luft und im Meer existieren nicht mehr.

An der Küste Grönlands treffen wir auf Franny Stone, eine Ornithologin, die über die letzten Küstenseeschwalben forscht. Ihr war es gelungen, einige der Vögel mit einem Peilsender auszustatten und sie möchte diesen auf ihrem unermesslich langen Weg  bis in die Antarktis folgen. Franny geht davon aus, dass auch diese wenigen verbliebenen Küstenseeschwalben in den nächsten Jahren aussterben werden.

Sie sucht im Hafen händeringend ein Boot mit dem sie den Vögeln folgen kann. Der Kapitän der Shagani geht auf ihren Handel ein: die Meere sind leer gefischt, es gibt kaum mehr Leben im Ozean, die Fischerfamilien kämpfen ums Überleben. Die Vögel sollen den Fischern den Weg zu den letzten Fanggründen weisen. Nach und nach lernen wir die Besatzung des Fischkutters näher kennen, Seemänner und – frauen, alle mit ihrer ganz eigenen Geschichte. Diese Reise ist ein waghalsiges Abenteuer, aber es bleibt für Franny auch genug Zeit um sich mit ihrer Vergangenheit, die bestimmt war von Abschieden, Verlust und Trauer auseinander zu setzen. Von Seite zu Seite, von Tag zu Tag, wird uns als LeserIn  Frannys Motivation den Küstenseeschwalben zu folgen, klarer.

Nehmt euch ein Wochenende Zeit für dieses Buch: eine bewegende und intensive Geschichte!

Jasmin Schreiber, Marianengraben

Marianengraben, ein im Frühjahr im Eichborn Verlag erschienenes Romandebüt, habe ich nicht aus der Hand legen können. Ein Roman, rund um die Themen Trauer, Abschied, Tod und Depressionen, will man/ frau das wirklich lesen? Ja! Unbedingt! Denn hier gehen so viele Emotionen Hand in Hand, es darf gelacht, gekichert und geschluchzt werden, es geht um die Sehnsucht nach Leben, es geht um Abschied und das Weiterleben. Ich habe  so viele Denkanstöße bekommen – und nebenbei, allerlei Wissenswertes rund um den Marianen Graben und die Tiefseebewohner.

Worum geht es? Paula, Biologiestudentin, gerät nach dem Tod ihres kleinen Bruders in eine schwere Krise, nichts in ihrem Leben macht mehr Sinn. Bei einem nächtlichen Ausflug auf den Friedhof lernt sie Helmut kennen, einen älteren, ziemlich mürrischen Herrn. Bei dem Versuch die Urne seiner Freundin auszubuddeln, um sie an einem würdigeren Ort zu bestatten, treffen die beiden aufeinander.

In einem alten, klapprigen Wohnmobil, mit Helmuts Hündin Judy und einer nur noch halbvollen Urne,  begeben sie sich auf eine Reise, auf der sie nicht nur den Anderen besser kennen, verstehen und schätzen lernen.

Ganz langsam taucht Paula aus dem tiefen Graben Depression auf.

Jasmin Schreiber ist mit diesem Buch zurecht auf der Lieblingsliste Bücher der Unabhängigen Buchhändler gelandet!

Diogenes Verlag

Peter Zantingh, Nach Mattias

Mattias lebt nicht mehr, das ist von Anfang an klar. Wer er ist und was ihm widerfahren ist, das erfahren wir nach und nach aus der Sicht von 8 verschiedenen Personen, die Mattias auf die eine oder andere Weise  kannten. Da ist zum einen Amber, seine Freundin, die sich Vorwürfe macht, dass sie Mattias Plänen so oft skeptisch gegenüber stand, da sind seine Großeltern, die dankbar sind, erst kürzlich einen runden Geburtstag mit ihm und der ganzen Familie gefeiert zu haben, da ist seine Mutter, die ganz und gar nicht einverstanden ist, mit der Rede am Grab. Quentin, sein bester Freund. Nach und nach setzt sich für uns die Person Mattias, das was ihn ausmachte und unverwechselbar machte , zusammen,  aber wir erfahren auch, wie das Leben der betroffenen Personen nach seinem Tod weitergeht, beziehungsweise, welche Wendungen es durch seinen Tod genommen hat.

Im Aufbau erinnerte mich das Buch ein wenig an Simone Lappert „Sprung“ – wer dieses gerne gelesen hat, der wird sich auch gerne auf die Suche nach der Person „Mattias“ machen.

Benjamin Myers, Offene See

Robert ist im Nordosten Engalnds aufgewachsen, obwohl erst 16 jährig, scheint sein beruflicher Weg vorbestimmt zu sein. Wie schon Generationen vor ihm, wird er wohl auch im Bergbau tätig werden. Doch bevor es so weit ist, macht er sich 1964 auf den Weg zum Meer , um seine Heimat besser kennenzulernen und seine Neugierde auf die Welt zu befrieden. Er arbeitet auf Farmen für Kost und Logis und kommt seinem Ziel, der Offenen See, langsam näher. Auf einem heruntergekommenen Grundstück und einem ebensolchen Cottage lernt er Dulcie kennen, eine ältere Frau, die aber völlig anders auftritt, als alle Frauen , die er bisher kennengelernt hat. Sie trägt Hosen, benutzt Wörter, die Robert die Schamesrötre ins Gesicht treiben, sie kocht mit besonderen, eigentlich nicht erhältliche Zutaten und Robert bleibt Tag um Tag. Viel gibt es dort zu tun, aber auch die Gespräche zwischen Robert und Dulcie werden intensiver. In einem kleinen Gartenhaus auf Dulcies Grundstück, das er renoviert, findet er einen Gedichtband , der Dulcie gewidmet ist. Was steckt dahinter?

Ein ruhiger und poetischer Roman, in dessen Geschichte ich gerne eingetaucht bin.

 

 

 

Carol Rifka Brant, Sag den Wölfen, ich bin zu Hause

Neues aus dem Eisele Verlag!

Und wieder so ein „Nicht mehr aus der Hand legen können“ Buch, wie es für mich schon „Die Farbe von Milch“ war.

June, 15 Jahre alt, lebt mit Eltern und Schwester Greta außerhalb von New York. Es ist das Jahr 1987.

June, eine nachdenkliche und kluge Einzelgängerin hat eine ganz intensive Beziehung zu ihrem Onkel Finn, einem berühmten Künstler. Die beiden verbringen viel Zeit zusammen, verstehen sich ohne viele Worte. Finns Tod stellt Junes Leben und ihre Gefühle auf den Kopf. Die Krankheit, an der er verstorben ist, Aids, ebenso wie sein Lebensgefährte Toby werden vom Rest der Familie totgeschwiegen. Toby nimmt  Kontakt zu June auf und obwohl diese ihm zuerst ablehnend gegenübersteht,  findet sie in ihm einen neuen, engen  Freund, der ihr nicht nur viel über Finn sondern auch über die Geheimnisse in ihrer eigenen Familie erzählt.

June begreift, dass es ein Mittel gibt gegen die Trauer: Freundschaft und Zusammenhalt!

Ein Roman voller Emotionen und wunderbar gezeichneter Charaktere!

Nell Leyshon, Die Farbe von Milch

„Mein Name ist Mary. Mein Haar hat die Farbe von Milch. Und dies ist meine Geschichte.“ –
– schlicht und dennoch mit einer Wucht, die sich erst, nachdem man die letzte Seite gelesen hat und das Buch nachdenklich schließt, voll entfaltet und mich tief berührt zurück gelassen hat. Unbedingt lesen!!!

Mary ist harte Arbeit gewöhnt. Sie kennt es nicht anders, denn ihr Leben auf dem Bauernhof der Eltern verläuft karg und entbehrungsreich. Liebe, Zuneigung und Interesse erfährt sie nur von ihrem Großvater. Doch dann ändert sich alles. Als sie fünfzehn wird, zieht Mary in den Haushalt des örtlichen Dorfpfarrers, um dessen Ehefrau zu pflegen und ihr Gesellschaft zu leisten – einer zarten, mitfühlenden Kranken. Bei ihr erfährt sie erstmals Wohlwollen und Anteilnahme. Mary eröffnet sich eine neue Welt. In ihrer einfachen, unverblümten Sprache erzählt sie, wie ihr Schicksal eine dramatische Wendung nimmt, als die Pfarrersfrau stirbt und sie plötzlich mit dem Hausherrn alleine zurückbleibt.

Dieses Buch entdeckte Julia Eisele mit ihrem neugegründeten Verlag für den deutschen Buchmarkt! Danke dafür!